Georg Brentano und sein Park in Frankfurt-Rödelheim - eine
Familiengeschichte /
Kapitel VII.
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Heute weiß ich, daß mein Vater bei uns zu kurz kam. Er war ein äußerst sensibler Mensch, seelisch und körperlich. Wer wusste damals etwas von Wetterfühligkeit? So fanden wir des Vaters Klagen über seinen „eingenommenen“ Kopf nur merkwürdig. Und unsere Mutter, zum Glück für uns von einer unvorstellbaren robusten Gesundheit, konnte sich darunter auch nichts vorstellen. Auch lag es an ihrer norddeutschen Art, daß wir keine Zärtlichkeiten kannten. Nicht, daß sie gefühlsarm gewesen wäre, aber man zeigte seine Gefühle nicht. In viel späteren Jahren, wenn sie mich an den Zug begleitete, sagte sie dann auf dem Bahnsteig: „Jetzt schaut man doch nur noch auf die Uhr und sagt: in 5 Minuten, in 3 Minuten fährt der Zug ab, ich gehe jetzt." Ich wusste ganz genau, warum sie ging, sie hatte Sorge, es könnten ihr Abschiedstränen kommen und die erlaubte sie sich noch immer nicht. In der Lorscherstraße und später Auf der Insel hat die Mutter manches für unsere Unterhaltung getan. Es gab ein kleines Puppentheater, auf dem wurde an Geburts- oder Namenstagen uns eine kleine Vorführung geboten. Noch interessanter war es, wenn die Mutter zauberte. Der Kasten mit den kleinen Hilfsmitteln wurde vor unseren neugierigen Blicken streng geheimgehalten. Und wie schön war es, wenn man einmal den Stereo-Gucker haben durfte. Es waren keine Kinderbilder, sondern Landschaften, die man so plastisch sah, daß man fast meinen konnte, den Wasserfall rauschen zu hören. Sonntags wurde im Winter gemeinsam gespielt, vor allem Poch, dieses abwechslungsreiche Kartenspiel. In der Weihnachtszeit gab es dann sogar kleine Gewinne, ein Plätzchen oder ein Stückchen Quittenbrot oder Höhepunkt der Genüsse: ein Praliné aus dem jährlich pünktlich eintreffenden Kasten der alten Tante Marie Spelz. Mutter hatte diese Freundschaft von ihrer Schwägerin übernommen. Ich habe nie eine zierlichere Person gesehen als diese liebenswerte alte Dame. |